Aus Großmutters Sesamtrophäe

Eines heiteren Tages kam das Böse in die Stadt. Da sagten die Leute zueinander: "Laßt uns sonnenbaden gehen, solange das Böse noch nicht an unserer Haustür war." So nahmen sie ihre Sonnencreme, damit sie keinen Sonnenbrand bekämen, mit ins Freie, wo das Gras wuchs, und einige plantschten in den plätschernden Bächen. Als der Tag zu Ende ging, kehrten sie in ihre hohen Häuser mit den niedrigen Decken zurück und sagten jeder zu sich selbst: "Das war ein wundervoller Tag, den hat uns auch das Böse nicht vermiesen können." Sie schliefen zwar unruhig in dieser Nacht, doch am Morgen erwachte ein jeder frohen Mutes, und einige vermuteten sogar, daß das Böse mittlerweile weitergezogen war. Doch selbst diese waren ein wenig erstaunt, als sie bis zum Abend noch rein gar nichts vom Bösen weder gehört noch gesehen hatten, und so munkelten sie, es könnte dem Bösen etwas zugestoßen sein. Eine große Menschenmenge sammelte sich, als es schon dämmerte, im Kirchhof, um den Kirchenmann zu befragen. Dem war schon ein wenig schwindlig geworden vor lauter Grübelei, und doch wußte er keinen Rat. Da er dies aber vor den Menschen nicht zeigen wollte, sagte er zu ihnen: "Macht euch keine Sorgen, alles wird schon recht herauskommen, so wie es immer recht herausgekommen ist am Ende". Da waren die Leute ein kleines bißchen beruhigt und gingen nach Hause, um Abendbrot zu essen. Am nächsten Morgen konnten sie in ihren Zeitungen lesen, wie der Bürgermeister alles für ein Hokuspokus erklärte, der die Städter verrückt machen sollte, doch sie dürften sich nicht narren lassen, die Polizei würde der Sache schon auf den Grund gehen, und bald könne man sich wieder der alten Zeit erfreuen und würde über den Vorfall nur lustige Geschichten erzählen. Und tatsächlich konnte man in den folgenden Tagen vielerlei Aktivitäten bemerken und gelegentlich Berichte erfahren, nach denen einige Verdächtige verhört worden seien. Aber so richtig genau wußte niemand, wie die Sache voranging, und die offiziellen Meldungen blieben vage.

Alles hatte sich so schon eine ganze Weile eingespielt und wie es in den alten Zeiten gewesen war, daran erinnerte sich eigentlich keiner mehr richtig, als wieder Bewegung in die Sache kam. Eine Frau, sie behauptete von der anderen Seite der Erde zu kommen, zog in die Stadt ein. Zuerst wollte ihr niemand glauben, daß sie von der anderen Seite der Erde käme, denn wenn es dies überhaupt gäbe, dann müßte der Weg doch sehr strapaziös sein. Zudem war es schwer vorstellbar, daß jemand diesen Weg ganz alleine gegangen war und dazu gerade in diese Stadt gelangt wäre. Aber die Frau bestand darauf und zeigte den Leuten Bilder von den wundersamen Pflanzen und Tieren des Landes, aus dem sie hergekommen war. Da die Pflanzen und Tiere alle sehr sonderbar wirkten und man der Frau soviel Phantasie nicht zutraute, sich dies alles ausgedacht zu haben, so nahm man sie schließlich für das, als was sie sich ausgab. Aber es lernten nicht nur die Städter die Frau kennen, sondern auch die Frau lernte die Städter kennen, bis sie, nach einigem Eingewöhnen, zu ihnen sagte: "Ich wohne schon einige Zeit unter euch, und ich habe bemerkt, daß ihr euch um das Böse sorgt. Aber ihr braucht euch keine Sorgen zu machen. Es geht ihm ausgezeichnet, ich bin ihm auf dem Weg in eure Stadt begegnet. Es gab mir sogar einen Gruß an euch mit auf die Reise, doch erst jetzt habe ich mich daran erinnert. Es sagte mir damals über euch, die ich euch ja noch nicht kannte, es hätte seine Angelegenheiten in eurer Stadt recht schnell erledigt gehabt und auch in seiner Abwesenheit liefen seine Geschäfte hier ganz ausgezeichnet. Da ich aber nun weiß, wie es um euch steht, will ich meine Sachen packen und dorthin zurückkehren, woher ich gekommen bin, um dort zu berichten, worauf wir achten müssen." Die Leute aus der Stadt sahen die Frau von der anderen Seite der Erde erst fassungslos an, dann jagten sie sie zum Tor hinaus. Erst als sie schon in weite Ferne fortgelaufen war, kamen die Leute wieder zur Besinnung und
ärgerten sich nun über sich selbst, daß sie sie nicht gefragt hatten, worauf sie hätten achten sollen. Also begannen sie, sich gegenseitig Vorwürfe zu machen, und dies setzten sie fort, bis sie alle sehr müde waren und auf der Stelle einschliefen.

Als die Frau von der anderen Seite der Erde wieder auf die andere Seite der Erde gelangt, da sagte sie zu den Menschen dort, die sie lange nicht gesehen und lange nichts von ihr gehört hatten: "Auf der anderen Seite der Erde die Menschen verstehe ich nicht, auch wenn ich lange bei ihnen gewesen bin. Wenn das Böse in ihrer Stadt ist, sorgen sie sich um ihre Leiber. Die übrige Zeit sorgen sie sich um das Böse, um ihre Mitmenschen dagegen nicht."

Und die Moral von der Geschichte: über die möge man besser schweigen, doch Schneeschnuber klebt, was es verspricht, und hält auch schon nach drei Minuten.

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